Der Weg heute führte mich entlang des Rio Miño, dem Grenzfluss zu Spanien. Ich lief also geradewegs immer dem rot geteerten Rad- und Fußweg entlang (nicht zu verwechseln mit dem gelben Ziegelsteinweg aus „Der Zauberer von Oz“).

An einer Abbiegung, die vom Fluss weg führte, war ich zunächst unsicher, traf jedoch einige Mitpilger, die wussten wo es langgeht. Wir verquatschten uns natürlich, verpassten die Kirche, an der wir eigentlich hätten links statt rechts gehen sollen und waren am Ende eine Weile falsch unterwegs, bis wir es merkten. Frustriert gab die Jungsgruppe dem Hunger nach und setzte sich im nächsten Café ab.

Ich fand nach Gefühl und ein bisschen Maps den Weg ans Flussufer zurück und endlich war es Zeit für das am Morgen beim Bäcker gekaufte Proviant. Wie immer gesunde Fitnesskost: Pfannkuchen mit Puderzucker, gefüllt mit der landestypischen Creme de pasteleiro, einer Vanille-Pudding-Creme. Lecker!

Der weitere Weg gestaltet sich dann problemlos entlang des waldigen, schattigen Flussufers mit immer wieder kleineren Pausen.

So erreichte ich sehr gut in der Zeit mein heutiges Ziel São Pedro da Torre und wurde dort freundlich von der sehr rührigen Herbergsmutter empfangen. Im Garten der Herberge gab es nicht nur ruhige schattige Sitzgruppen, auf denen schon einige Mitpilger bei einem kühlen Getränk saßen, sondern auch einen Pool. Einen Pool!

Damit war dieser natürlich meine erste Anlaufstelle. Auch eine Kalifornierin war gleich mit von der Partie, wir schwammen ein paar Runden und sie lobte mein gutes Englisch (kurzer Confidence Boost). Die beiden Hauskatzen Maria und Mr. Coconut beäugten das ganze eher skeptisch, doch die Herbergsmutter ermutigte mich, doch bitte deutsch mit den beiden zu sprechen, das hätten sie lieber als portugiesisch.

Am Abend wurde extra für uns alle gekocht. Mein erstes Pilgermenü auf dem Camino Portugues! So kamen alle Nationen bei leckerem Essen an einem Tisch zusammen: Deutschland, Holland, USA, Kroatien, Dänemark, …

Nach dem Essen sang eine der Amerikanerinnen ein portugiesisches Volkslied, dass sie mit der Gitarre eingeübt hatte und insbesondere unsere Herbergsmutter war sehr gerührt und übersetzte den Text für alle.

Ebenselbige war auch bis spät am Abend mit an unserem Tisch dabei, ermutigte uns alle zu erzählen was uns herführt und betonte immer wieder den besonderen Spirit des Camino. Das Gefühl anzukommen, sich selbst zu finden. Etwas zu finden, was man schon lang gesucht hat. Dass sich auf dem Weg Dinge klären, der Weg dich beschenkt und am Ende uns alle zu einer großen Familie an einem Tisch macht, über alles politische hinweg. Dass die Liebe der Menschen den Camino ausmacht, und am Ende das Leben selbst.

Alles war still und jeder hörte dem anderen zu. Als ich an der Reihe war, konnte ich es einfach so nicht stehen lassen und sammelte innerlich all mein englisches Vokabular zusammen.

Und ich erzähle allen die Geschichte wie ich vor zweieinhalb Jahren aus dem Abschlussgottesdienst in der Kathedrale in Santiago weinend rausgegangen bin. Weil ich das Gefühl hatte, dass keiner der Pilger den ausschließlich spanischen Gottesdienst verstanden hat. Weil alle nur im richtigen Moment, als der Weihrauch-Kessel geschwenkt wurde, ihr Handy gezückt haben. Und ich mir dachte: Das kann nicht alles sein, was die Leute vom Weg mitnehmen. Das kann nicht alles sein, was man als Christen einer vollen Kirche zu erzählen hat.

Es ist nicht der WEG der uns alle vereint, der Camino allein hat keinen Spirit, es ist ja nur ein Weg. Die Energie, die alle spüren, dass sich Dinge erfüllen und alles plötzlich Sinn macht – das ist GOTT. Das ist Jesus Christus. Das ist kein Camino-Spirit und keine Selbstfindung. Das ist Gott, der zu dir spricht. Der in dein Leben spricht, und dir einen Sinn gibt.

Mag es dem ein oder anderen etwas bedeutet haben. Oder nur ein Anstoß sein. Oder nichts von alledem. Aber es war mein Beitrag zum heutigen Abend.

Wir sitzen noch eine Weile zusammen, einige singen ein paar Lieder auf der Gitarre und lassen den Abend ausklingen, um dann erholsam zu schlafen und Kraft für morgen zu haben. Eine Familie, aus allen Ländern, an einem Tisch, ein Geist.

Morgiges Ziel: O Porriño – mit vorher feierlichem Überqueren der Landesgrenze zu Spanien (aber leider auch minus 1 Stunde weil Zeitzonenwechsel).

Boa noite!