Ein letztes Mal Rucksack zusammenpacken und los. Das letzte Frühstück unterwegs, durch die Wälder den anderen Rucksäcken folgend.

Über was denkt man auf den letzten Metern nach? Eigentlich ist das Ankommen in Santiago ein Grund zur Freude (wie bei den Pilgern früherer Jahrhunderte, für die der Weg eine echte Strapaze war), aber doch ein bisschen Traurigkeit, dass es jetzt schon vorbei ist.

Der Himmel war heute leider bewölkt, es fiel sogar der ein oder andere Regentropfen, woraufhin einige meinten, sie hätten sich ihren Einzug in die Stadt doch sonniger vorgestellt. Ich blieb jedoch optimistisch und betonte, dass bezüglich des Wetters immer alles möglich war – warum auch nicht heute für uns?

Den letzten Kaffee vor Santiago tranken wir gemeinsam, legten noch eine kurze Tanzsession ein und starteten dann in die verbleibenden sechs Kilometer bis zur Kathedrale. Vorfreude schwang mit, aber auch Spannung, da niemand recht wusste, was uns erwarten würde.

So bahnten wir uns also den Weg entlang von Industriegebäuden, Hauptverkehrsstraßen und der ersten Häuser. Der wettertechnische Optimismus meinerseits stellte sich dabei als begründet heraus – bei Passieren des Ortsschildes zog es tatsächlich auf und wir bekamen Sonnenschein. Sonne, trotz all der grauen Wolken!

Der Weg führte uns schließlich bis in die Altstadt mit kleinen, touristisch-betriebsamen Gassen, in denen man schonmal den Überblick verlieren konnte. Tatsächlich fanden wir die riesige Kathedrale nicht auf Anhieb, wurden dann von Passanten des (falschen) Weges gewiesen und nach unzähligem Abbiegen unter Aufrechterhalten der Spannung standen wir vor der Kathedrale – aber irgendwie sah das nicht so aus wie auf den Bildern. Offensichtlich waren wir an der Rückseite des Gebäudes gelandet. Begleitet von Dudelsackmusik umrundeten wir also die Kathedrale – und standen dann auf dem Hauptplatz an der Vorderseite.

Dort erwarteten uns bereits zahlreiche jubelnde Pilger, auf dem Boden abgeworfene Rucksäcke und viele freudige, bekannte Gesichter. Es wurde sich umarmt, einige weinten, neue Leute kamen hinzu und alles begann von Neuem. So viele freudige Gesichter!

Überwältigt von allem ließen wir uns mitten auf dem Platz nieder, auf dem Boden liegend mit direktem Blick auf die Kathedrale. Geschafft!

Erst viel später machten wir uns auf zum Pilgerbüro, holten unsere Compostela ab und fanden danach natürlich auch in dieser riesigen Stadt wieder im Vorbeigehen genau das Restaurant, in dem schon andere hungrige Pilger in der Sonne saßen. So wurde die Tafel immer länger und mehr und mehr kamen hinzu.

Am späten Nachmittag checkten wir in der Albergue ein und machten uns auf zur Abendmesse in die Kathedrale, welche bereits über eine Stunde vor Beginn gut gefüllt war.

Der Gottesdienst wurde leider fast ausschließlich in Spanisch gehalten, was ich sehr bedauerte. Trotz dass hier sicherlich viele Menschen dieser Sprache mächtig waren, hatte ich in einem Gotteshaus selten ein so internationales Publikum, mit und ohne religiösen Bezug, gesehen und wurde daher das Gefühl nicht los, dass der Kirche damit eine unglaubliche Gelegenheit der Verkündigung entging.

Nach der Messe ließen wir den Abend bei einem gemütlichen, späten Abendessen ausklingen und folgten dann einem Tipp, den wir bekommen hatten, nach welchem auf dem Hauptplatz vor der Kathedrale gegen 10 noch eine Show-Einlage stattfinden sollte. Tatsächlich baute sich dort bereits eine spanische Männer-Gesangs-Combo mit ihren Instrumenten auf und boten dann ihrem beachtlich wachsendem Publikum eine fröhlich-folklorische Show – bei der sich nicht ausmachen ließ, wer mehr Spaß daran hatte – die Musiker in ihrer schwarz-roten Tracht oder die Pilger, die heute ihren Zieleinlauf gefeiert hatten.

Nicht in Betracht ziehend bereits schlafen zu gehen, überlegten wir auf dem Rückweg in einer Bar anzuhalten. Die stille Bitte wurde auf Camino-Art-und-Weise wie selbstverständlich erhört und wir kamen an einem Irish Pub vorbei, in dem die Stimmung bereits kochte. Ohne jegliche Instrumente, jedoch unter rhythmischem Händeklatschen und Fußtrommeln wurde hier aus tiefster Kehle gesungen und dazu die Bierkrüge erhoben. Obwohl die Kneipe bereits voll war als wir hereintraten, kamen immer noch mehr Pilger dazu, mit denen wir gemeinsam unsere Ankunft in Santiago feierten. Ein Spektakel!

Man soll gehen, wenn es am besten ist – dementsprechend folgten wir der Sperrstunde der Herberge, welche heute verhältnismäßig feierfreundlich um 0:30 Uhr gelegen war, und erreichten diese mehr oder weniger pünktlich. Auch hier war natürlich Verlass auf die Caminogeschwister, denn in der Tür befand sich bereits ein Schuh, der diese offen hielt.

Was für ein Tag – für mich ein gebührendes Ende des Jakobsweges. So werde ich am Mittwoch dann (seit langem mal wieder) ein Verkehrsmittel betreten und gegen 18 Uhr in Dresden landen. Einige andere jedoch würden in den nächsten Tagen noch weiter pilgern bis zum Kap Finisterre. Dieses sogenannte “Ende der Welt” muss auf mich aber noch ein bisschen warten. Ich komme wieder!

Hasta luego, Camino de Santiago, und Gracias für alle bisherigen Spenden!