Wie lässt sich ein Tag besser beginnen als mit einem guten Ausblick? Wenn man allerdings im Tal genächtigt hat, heißt das, dass man erst einmal ein ganzes Stück nach oben muss!

So startete heute morgen die Wegvariante des “Camino duro” (schwerer Weg), welche die eintönige Route entlang der Schnellstraße vermeidet, direkt an der Herberge und ging zunächst straff bergauf. Dadurch bot sich jedoch bereits nach wenigen Minuten ein unglaublicher Ausblick über die Stadt. Auch der weitere Weg war sehr sehenswert und schlängelte sich den Berg hinauf und dann wieder hinab.

Nach zweieinhalb Stunden Bergpanorama ergab sich dann in Pradela die ersehnte Möglichkeit für ein Frühstück. Ich freute mich, dass es hier Joghurt und Müsli in der Karte gab, und gemeinschaftlich wurde festgestellt, dass es einen generellen Camino-Heißhunger nach Milchprodukten zu geben schien.

Die letzten Höhenmeter hinab führten über kleine Waldwege und sonnige Weiden, auf denen Kühe grasten. Auch staunte ich über einen Baum, dessen Wurzeln nach einem Erdrutsch komplett freigelegt worden waren, sodass man darunter hindurchgehen konnte – der sich trotz allem aber nicht davon abhalten ließ, weiter in die Höhe zu wachsen.

Als es dann zu schneien begann im Mai, fragte ich mich endgültig, an welchem verwunschenen Ort ich hier gelandet war – kleine, weiße Wattebäusche trudelten gemächlich vom Himmel und wurden vom Wind zerstreut. Urheber dessen war jedoch scheinbar kein vorzeitiger Klimawandel, sondern die Pappelbäume am Rande des Weges, wie ich mit einer Mitpilgerin herausfand. Was für ein Naturschauspiel!

Am Fluss entlang erreichte ich dann Herrerías. Dort lachten mich bereits auf dem Weg in die Herberge deren Hängematten im Garten an, welche nach Ablegen meines Rucksackes auch gleich eingeweiht wurden.

Weiterhin hatte ich heute auf dem Weg das Glück, zwei offene Kirchen vorzufinden, in welchen es tatsächlich nach frischem Kerzenduft roch – ungewöhnlich, da hier in den Kirchen oft LED-Kerzen zu finden waren, welche man mit einer kleinen Spende erleuchten konnte.

Einem Wein am späten Nachmittag folgte ein diesmal zwar weinloses, jedoch vegetarisches Dinner. Da dieses jedoch zu gegebenem Zeitpunkt noch nicht ganz fertig war, standen wir also vor der Küche und warteten. Ich unterhielt mich mit einer Schwedin über Wanderlieder und dass diese doch immer ähnliche Inhalte hatten. Dabei stellten wir unvermittelt fest, dass wir beide offenbar das gleiche Lied im Kopf hatten. So folgte diesem Gespräch ein spontanes deutsch-schwedisches Duett von “Im Frühtau zu Berge”. Danach wurde aufgetischt, es gab Möhrensalat, Humusbrote, Kartoffel-Oliven-Salat und selbstgebackenen Cheesecake.

Zum Tagesabschluss saßen wir noch mit einigen anderen Pilgern in einer Bar zusammen und sprachen unter anderem über die morgige Tagesetappe. Dabei wollten einige die exklusive Möglichkeit nutzen, den Weg bis O Cebreiro auf dem Rücken eines Pferdes im Rahmen eines geführten Gruppenausritts anzutreten. Wir lachten über bisherige Reiterfahrungen, sture Pferde und noch sturere Besitzer und eine Texanerin erzählte von den “richtigen Cowboys” in ihrer amerikanischen Heimat. Bleibt abzuwarten, was die Reiter dann nach dem morgigen Tag berichten werden.

Hasta mañana und Gracias für alle bisherigen Spenden!